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Sonntag, 2. Dezember 2012

Mythos EBWK


Wenn ich gefragt werde, wann ich das erste Mal die Idee zu einer Stiftung hatte, dann kann ich darauf nicht mit derjenigen Präzision antworten, die wahrscheinlich erwartet wird. Es ist nicht dieses oder jenes Datum, das den Anfang der Geschichte dieser Stiftung bezeichnen könnte. Sicherlich; sie wurde an einem gewissen Tag gegründet, wie ich auch an einem genau zu definierenden Tag geboren wurde. Aber ebenso, wie es zu meinem Geburtstag eine Vorgeschichte gibt, die sich nicht allein auf die neunmonatige Schwangerschaft meiner Mutter reduzieren lässt, und auch noch den Tag meiner Zeugung überragt, so besitzt auch die Stiftung eine Geschichte vor der Gründung und eine Geschichte vor der bewussten Wahrnehmung ihrer Idee. Und gerade diese Geschichte ist so komplex, dass ich sie zu erzählen nicht imstande bin. Also will ich es versuchen.
Es gleicht eigentlich mehr einem Gemälde, als einer prosaischen Geschichte, wie die bildende Kunst uns zuweilen ganze philosophische Systeme mit einem einzigen Bild aufschlüsseln lässt. Ähnliches erlebte ich an jenem Wintertag.Die Straßen der Stadt waren vereist und eine schneidende Kälte löste beim Atmen einen leichten Schmerz in der Lunge aus, gegen den sich die Menschen mit dicken, über das halbe Gesicht gezogenen Wollschals schützten. Die Nachmittagsdunkelheit setzte bereits ein und die heraufziehende Nacht kündigte weiter fallende Temperaturen an. Ich befand mich auf dem Weg zum Hotel, diesmal zu Fuß. Die ganze Woche über, die ich in dieser Stadt verbrachte, hatte ich das Taxi benutzt und dementsprechend von der Stadt nicht mehr gesehen, als ungezählte Lichter am Straßenrand.Tageslicht, so erschien es mir, existierte dort überhaupt nicht. Vom morgendlichen bis zum abendlichen Dunkel gab ich Seminare, verbrachte ich die Zeit in den Tagungsräumen. Nun, an jenem Tage, packte mich die Neugier. Einmal wenigstens wollte ich die Stadt sehen, nicht bloß an ihr vorbeifahren, sondern sie wirklich durchschreiten.
Der Weg zum Hotel war nicht lang und, meinem Irrtum nach, in einem kurzen Fußmarsch zu bewältigen. Wohl spazierte ich ziemlich gedankenlos durch die Häuserschluchten, jedenfalls nicht zielstrebig auf mein Hotelzimmer zu. Das Gefühl von Zeit verflüchtigte sich und die Füße setzten in reiner Mechanik einen Fuß vor den anderen; sie bewegten mich, der ich schon keine bewusste Macht mehr über sie auszuüben fähig war. Und ich kam plötzlich wieder zu Bewusstsein, aber nicht im wohlig warmen Hotelzimmer, sondern auf einem Hügel über der Stadt. Unbewusst hatte ich die Ränder der Stadt durchzogen, die Steigungen genommen und diese Aussichtsplattform erreicht.
Da erblickte ich folgendes:
Unter mir eröffnete sich ein Meer aus Lichtern; bunt, grell, manche bewegten sich, andere standen still. Hinten, auf der anderen Seite der Stadt, zeichneten sich die Schatten riesiger, sich in den Nachthimmel aufragender Schlote ab. Auch ihre Warnlichter blinkten zeitweilig auf. Überhaupt war von der ganzen Stadt eigentlich nur ihr Licht wahrnehmbar, da selbstder unvermeidliche Lärm einer Stadt, vom Schnee gedämpft, nicht bis zu diesem Hügel heraufdrang. Ein Schwarm Krähen schwang sich geräuschvoll auf und zog hinunter, ins Tal der stillen Lichter. Das erste Mal seit langer Zeit, ja vielleicht seit der Kindheit, ergriff mich ein alles durchwirkendes Erstaunen.Vor der Unfasslichkeit dieses Bildes, welches tausende Menschen in jenem Augenblick zusammen malten, so dass ich es betrachten konnte, versagt die Sprache. Und auch jetzt, da ich genügend Zeit besaß, es zu rationalisieren, kann ich nicht mehr darüber aussagen, als jenes ‚Erstaunen‘. Es wird sich selbst erklären müssen.
Nein, an jenem Wintertag hatte ich nicht die bewusste Idee dazu, eine Stiftung zu Gründen. Auch nicht am nächsten. Gut möglich, dass jenes Bild überhaupt nichts mit der Gründung der Stiftung zu schaffen hat. Aber ich lernte damals etwas sehr wichtiges: die Kunst des Erstaunens über die WeltDasberichte ich ohne jedes Pathos, denn es handelte sich damals nicht um einen erhebenden Moment, nicht um eine Erleuchtung, nicht um einen romantischen Seufzer. Allein der sich mir eröffnende Blick auf die Normalität und wie ungewöhnlich, geradezu befremdlich er sein kann, steht hier im Vordergrund.
Ich denke, dass wir das Erstaunen über die Einrichtung der Welt, über die sogenannte Normalität, wieder lernen müssen.Auch dies ist ein Aspekt der Aufklärung, denn nur wer sich über die Normalität noch zu wundern wagt, wird sie zu hinterfragen bereit sein. Mich trieb der Zufall eines Winterabends auf den Hügel über der Stadt, die ich seit dem nicht wieder besucht habe. Andere mag der Weg zu uns führen und vielleicht werden wir sie in Erstaunen versetzenkönnen. Das ist meine Hoffnung.

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